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Literatur und Klangschalen

Die Bruckerin Helga Cichon bedient die Esoterik-Fans

foto sz artikel 020714Fürstenfeldbruck – Es herrscht geschäftiges Treiben an diesem Abend im Buchladen „Lichtblick". Immer wieder kommen Kunden, begutachten die Auslage mit den aktuellen Bestsellern im Eingangsbereich oder drehen die Ständer mit den Glückwunschkarten und farbenfrohen Mandalas vor dem Geschäft. Zwei Freundinnen beugen sich interessiert zu der Glasvitrine mit indischem Silberschmuck. Eine Kundin läuft mit nach links gedrehtem Kopf, langsam an den Regalen mit Büchern zu ayurvedischer Ernährung, Zen-Meditation und Tarotkartendeutung vorüber. Im Hintergrund läuft eine CD mit schamanischen Flötenklängen, Sandelholzräucherstäbchen schwängern die Ladenluft. Hinter der Theke wacht die Besitzerin Helga Cichon und scheint dabei vollkommen in sich zu ruhen. Kurz vor Ladenschluss kümmert sie sich allein um das Geschäft, das die Hörer von Bayern 2 zur „Lieblingsbuchhandlung 2004" wählten. Aller paar Minuten klingelt das Telefon. Meistens geht es um Bücher, die jemand bestellen möchte. Cichon nimmt sich Zeit. Ohne Hektik und mit sanfter Stimme berät sie den Kunden am anderen Ende und klickt nebenbei im Katalog. Als es etwas ruhiger geworden ist, seufzt die 59-Jährige und deutet traurig auf eine Schachtel mit hölzernen Marienkäferchen, für zehn Cent das Stück, die man zur Verzierung auf Briefe und Karten klebt. Ein Mädchen hat vorhin zwei gekauft. „So etwas und die Postkarten halten mich über Wasser."

Vor mehr als 25 Jahren, im März 1988, hat alles angefangen im Brotzeitraum der Lackiererei ihres Lebensgefährten. Hinter einer blauen Tür, auf 20 Quadratmetern, verkaufte Cichon ihre ersten esoterischen Bücher. Ihren Job als Sachbearbeitern hatte sie aufgegeben. „Ich habe die Büroarbeit als sinnlos empfunden." Ohne zu wissen, wie man überhaupt eine Buchhandlung führt, habe sie den Schritt gewagt. Bereits einige Jahre zuvor hatte sie nach einer Beziehungskrise begonnen Hatha-Yoga und autogenes Training zu praktizieren. Sie begann sich für Astrologie zu interessieren. „Nicht für Zeitungshoroskope und den ganzen anderen Unsinn", sondern für psychologische Astrologie, bei der es darum gehe, mehr über den Charakter eines Menschen herauszufinden. Sie helfe, sich selbst zu finden und ein „authentisches Leben" zu führen. „Mein Schicksal ist eine Chance gewesen, die ich genutzt habe."

Ihre Erfahrungen fließen in die Arbeit ein. An diesem Tag interessiert sich eine Dame für das Thema Lichtnahrung. Cichon muss dafür ein wenig in den Regalen kramen, findet aber schließlich ein Buch, von dem nur noch wenige Exemplare über den Verlag erhältlich sind. Sie lernte selbst mal auf einem Schweigeseminar eine Frau kennen, die sich über acht Jahre nur von Licht ernährt habe, erzählt die Bundhändlerin. Auch die Klangschalen, die sie verkauft, benutze sie selbst. Sie greift nach einer Schale aus Bergkristall. Sie stellt sie behutsam auf ihre linke Handfläche und schlägt mit einem lederumwickelten Holzstab gegen die Wand der milchig-weißen Schale. Ein durchdringender Klang, eine Art Gong, ertönt. Sie beginnt durch ihren 80 Quadratmeter großen Laden zu schreiten. Immer wieder fährt sie mit dem Stab kreisend um die Schale, der Klang hallt nach. „Damit befreie ich Raum von negativen Schwingungen." Räume, in denen jemand gestorben sei oder in denen Streit geherrscht habe, könne man so säubern.

Wenn Cichon so erzählt, mag man kaum glauben, dass sie im letzten Jahr daran gedacht hat, ihren Laden aufzugeben. Seit 2000 bemerke sie einen stetigen Umsatzrückgang. Es sei einfach bequemer, sich seine Bücher im Internet zu bestellen. Sie könne es den Menschen kaum verübeln. So erweiterte sie im Laufe der Jahre ihr Sortiment, nahm auch gängige Bücher von den Bestseller-Listen auf und eben die Postkarten. Ende 2013 rappelte sie sich noch einmal auf und stellte drei Teilzeitkräfte ein. Vor vier Wochen eröffnete sie ihren Online-Shop. Zweimal die Woche nutzt zudem ein Gold-An-und-Verkäufer eine kleine Ecke im Laden. Das Geld hilft ihr, die Miete zu bezahlen. Helga Cichon wird nachdenklich, wenn sie sich ausmalt, was mit ihrem Buchladen passieren könnte. „Ich weiß, ich muss vielleicht bald meine Scheuklappen ablegen", sagt sie traurig. Noch schiebe sie aber den Gedanken vor sich her.

Ein Artikel von ANNA LANDEFELD-HAAMANN

Lichtblick: Vor 25 Jahren hat Helga Cichon in Bruck mit ihrer Esoterik-Buchhandlung angefangen.
Südd. Zeitung 02.07.2014

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